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Reinhard Mey !Ich kann – Albumkritik und Analyse

Reinhard Mey !Ich kann — Albumvorstellung und Kritik

Letztes Update: 03. Oktober 2025

Der Text stellt Reinhard Meys Album !Ich kann vor und bespricht exemplarische Titel. Er analysiert Melodien, Wortwitz und Stimme, wĂĽrdigt Arrangements und intime Momente, kritisiert aber die teils vorhersehbare Produktion. Fazit: Empfehlenswert fĂĽr Fans.

Reinhard Mey !Ich kann – Vorstellung und Kritik eines späten Live-Manifests

Der Titel wirkt wie ein Kurzbekenntnis. Er ist knapp, stolz und klar. Dahinter öffnet sich ein abendfüllender Kosmos. Das Live-Album erschien am 12. Mai 2006 und ist mehr als eine Tour-Dokumentation. Es ist ein Panorama einer Künstlerbiografie. Es ist Rückschau, Standortbestimmung und Trostspender. Und es ist ein leises, aber entschlossenes Plädoyer für das Lied als Bühne der Freiheit. In dieser Spannung entfaltet sich Reinhard Mey !Ich kann.

Reinhard Mey !Ich kann: Ein Titel als Haltung

Der Ausruf im Titel ist kein Zufall. Er steht für eine Haltung, nicht für Übermut. Bei Reinhard Mey !Ich kann klingt das „Ich kann“ wie das Fazit eines langen Weges. Er singt es nicht als Kraftmeierei, sondern als ruhige Zusage. Mit Erfahrung. Mit Zweifel im Gepäck. Und mit dem Mut, dann trotzdem zu gehen. Das ist die Signatur des Abends.

Der Titeltrack „Ich kann!“ dauert fast acht Minuten. Er ruht in sich. Zwischen den Zeilen spürt man die Jahre, die über eine Stimme gehen. Man hört auch das Publikum. Es atmet mit. Es lacht an den richtigen Stellen. Es schweigt, wenn es zählt. Das Live-Gefühl trägt das Programm, nicht die Studioperfektion.

Entstehung und Format: Doppeltes Live-Protokoll einer Tour

2006 waren Copy-Control-CDs ein Thema. Auch hier. Das Live-Album liegt in zwei Formaten vor. Ein Teil bietet 11 Stücke. Der andere bringt 12 weitere. Zusammen entsteht ein abendfüllendes Doppelbild. So formt sich aus zwei Programmbögen ein ganzer Konzertabend. Das passt zu Reinhard Mey !Ich kann. Denn das Werk will als Live-Gesamtbild gehört werden.

Die Zeit war politisch unruhig. Die Welt stand auf Kante. Und Mey war in dieser Phase beides. Chronist der Tagespolitik. Und Bewahrer der stillen Dinge. Die Auswahl der Lieder zeigt das. Sie reicht von „Alles o.k. in Guantánamo Bay“ bis „Gute Nacht Freunde“. Sie wechselt zwischen Empörung und Umarmung. Genau hier liegt die Spannung, die trägt.

Dramaturgie der ersten Disc: Elf Lieder als Einstieg in ein Gespräch

Die erste Disc öffnet mit „Wenn ich betrunken bin“. Ein langer, warm erzählter Auftakt. Der Ton ist nah. Das Publikum wird nicht bedient. Es wird in ein Gespräch geholt. Diese Nähe prägt auch „Ich kann!“. Die Nummer dient als inhaltlicher Scharnierpunkt. Hier wird die späte Selbstermächtigung fühlbar. Und hier wird der Abend thematisch sortiert. Das ist das kluge Versprechen von Reinhard Mey !Ich kann.

„Das Narrenschiff“ kommt groß und finster. Die Nummer ist ein Prüfstein. Sie fordert Langmut, Hinhören, Deutung. Mey trägt sie ohne Pathos. Er vertraut der Sprache der Bilder. Die Gitarre bleibt schlank. Jeder Anschlag zählt. So entsteht eine Wucht, die ganz aus der Ruhe wächst.

Mit „Alles o.k. in Guantánamo Bay“ schneidet er die Weltlage an. Der Song ist präzise, sarkastisch, wütend. Und doch weicht er nicht ins Grobe aus. Er bleibt bei Figuren. Er bleibt beim Konkreten. Gerade diese Ruhe macht den Kommentar stark.

„Je t’aime“ und „Douce France“ zeigen die französische Seite. Mey ist daheim in zwei Sprachen. Man hört das Staunen über Paris. Man hört auch das Licht der Erinnerung. Die Songs wirken wie Fenster. Sie öffnen Luft und Weite im Set. Danach sitzen „Annabelle“ und „Der Biker“ umso fester. Figuren treten auf. Man kennt sie bald. Man mag sie oder man erkennt sich in ihnen.

„Friedhof“ ist leise, zärtlich, genau. „Wie ein Baum, den man fällt“ schlägt den Bogen zum unwiderruflichen Abschied. Am Ende der ersten Disc steht „Über den Wolken“. Der Evergreen ist nicht Pflicht, sondern Klammer. Er hebt nicht ab in Nostalgie. Er trägt den ganzen Abend in die Weite und wieder zurück.

Schlaglichter: Die Kunst der langen Form

Viele Stücke sind lang. Acht Minuten sind keine Seltenheit. Das fordert Sie als Hörerin oder Hörer. Doch die Länge ist nicht Trägheit. Sie ist Atem. Mey erzählt in großen Bögen. Er vertraut dem Wort. Er vertraut der Stille dazwischen. So entsteht eine innere Spannung, die über Radiolänge hinaus trägt.

Publikumsnähe: Ein offenes Ohr

Zwischenrufe, Lachen, kleine Pausen. Diese Details wirken. Sie holen das Studio aus der Aufnahme. Plötzlich sitzt man nicht zu Hause, sondern in der Reihe acht. Man teilt die Stille vor einer Pointe. Man teilt auch den Applaus nach einer Zeile, die trifft.

Dramaturgie der zweiten Disc: Zwölf Lieder als zweite Hälfte

Die zweite Disc setzt mit „Noch ’n Lied“ an. Es ist ein ironischer Beginn. Er bricht die Erwartung mit einem Augenzwinkern. Danach folgt „Nein, meine Söhne geb’ ich nicht!“. Ein bislang unverwüstliches Bekenntnis. Die Stimme ist älter. Der Sinn ist jünger denn je. Das macht die Wucht aus. Auch das ist ein Kern von Reinhard Mey !Ich kann.

„Sven“ und „Serafina“ führen in den Alltag. Mey erfindet keine Helden. Er schaut genau hin. Das Leben wird nicht veredelt. Es wird ernst genommen. So wachsen Figuren, die bleiben. „Der unendliche Tango der deutschen Rechtschreibung“ bringt Tempo und Witz. Man hört den Stoßseufzer eines Sprachliebhabers. Man lacht. Und man denkt noch nach, wenn der Applaus verhallt.

„Ich glaube nicht“ stellt die Glaubensfrage ohne erhobenen Finger. Der Song besteht aus vorsichtig gesetzten Steinen. Keiner fällt den anderen. Am Ende steht eine offene Tür. „Nanga Parbat“ bringt die große Metapher. Berg und Mensch. Risiko und Maß. Schritt für Schritt. Es passt zum Abend. Es passt zur Lebensphase.

„Als de dag van toen“ erweitert den Sprachraum erneut. Niederländisch klingt weich und nah. Die Melodie trägt die Erinnerung. „Das war ein guter Tag“ nimmt sich viel Zeit. Es ist eine Bilanz im Kleinen. Am Ende warten „Das Handbuch“ und „Viertel vor sieben“ mit Humor und Alltagsglanz. Den Schluss setzt „Gute Nacht Freunde“. Nicht als Pflichtnummer. Als Handschlag.

Humor und Gravität: Zwei Seiten einer Münze

Der Wechsel zwischen Lachen und Schweigen ist klug gesetzt. Humor wird nie Deckmantel. Er ist Ventil. Gravität wird nie Last. Sie ist Maß. Diese Balance hält die zweite Disc lebendig bis zum Schluss.

Stimme, Zeit, Raum: Eine Reife, die man nicht kopiert

Reinhard Mey singt mit einer Stimme, die Geschichte trägt. Sie ist anders als in den frühen Jahren. Tiefer. Wärmer. In den Höhen mit mehr Körnung. Das macht die neuen Versionen der Klassiker spannend. Vor allem auf Reinhard Mey !Ich kann suchen die Lieder nicht die alte Form. Sie finden eine neue Wahrheit in der Gegenwart.

Der Raum ist trocken, aber nicht eng. Die Gitarre steht im Vordergrund. Sie ist präzise, nicht virtuos um der Virtuosität willen. Wo kleine Begleitungen dazukommen, bleiben sie dezent. Das Konzert atmet frei. Man hört Luft zwischen Saiten und Stimme. Das ist die richtige Bühne für Texte, die tragen.

Politik als Gewissen, nicht als Parole

„Alles o.k. in Guantánamo Bay“, „Das Narrenschiff“, „Nein, meine Söhne geb’ ich nicht!“: Das sind große, schwer tragende Pfeiler. Mey predigt nicht. Er präzisiert. Er schafft Bilder. Er richtet keine Schlagzeilen her. Er packt das Gewissen an. Gerade deshalb wirken diese Lieder stark. Sie gehören zum Rückgrat von Reinhard Mey !Ich kann.

Das Politische steht nie allein. Es braucht das Private, das Konkrete, das Kleine. Erst dann leuchten die großen Themen. Erst dann fühlt sich Kritik nicht wie Belehrung an. Mey schafft diese Balance. Das macht das Album zugänglich, auch für Menschen, die bei Parolen aussteigen.

Privatheit und Poesie: Kleine Welten, groĂźe Wirkung

„Annabelle“, „Sven“, „Serafina“, „Viertel vor sieben“: Das sind Alltagsbilder. Sie sind zart und scharf zugleich. Keine großen Gesten. Klare Linien. Kleine Details öffnen sich wie Türen. Sie lassen Raum für eigenes Erleben. Diese Lieder halten das Programm auf menschlicher Höhe. Sie erden auch die großen Themen von Reinhard Mey !Ich kann.

„Friedhof“ ist ein Beispiel für die Kunst der leisen Zeile. Es ist kein Trauergesang. Es ist ein Spaziergang durch Erinnerung. Das macht den Schmerz tragbar. Und es macht den Trost plausibel. So werden die stillen Lieder zu Herzstücken des Abends.

Klangbild und Produktion: Die hohe Schule des Weniger

Die Produktion tut dem Stoff gut. Sie ist zurückgenommen. Sie stellt die Gitarre ins Zentrum. Sie lässt die Stimme vorne stehen. Applaus und Atem sind hörbar, aber nie zu viel. Man ist im Raum, ohne ihn als Effekt zu spüren. Das passt zur Haltung von Reinhard Mey !Ich kann.

Die langen Laufzeiten könnten kippen. Sie tun es nicht. Der Grund ist Timing. Der Erzähler kennt das Gewicht der Pause. Er setzt sie bewusst. Und er scheut sich nicht vor Stille. Diese Stille macht den Klang größer.

Der Kanon im Spiegel der Gegenwart

Wer Mey sagt, denkt „Über den Wolken“. Das Lied ist hier dabei. Doch es wird nicht zur Nostalgie. Es ist Teil eines Wegs. Gleiches gilt für „Gute Nacht Freunde“. Beide Stücke wirken wie gesammelte Erfahrung. Sie zeigen, wie ein Kanon leben kann. Im selben Atemzug stehen neue oder neu gefundene Stücke. „Nanga Parbat“ trägt ein anderes Zeitgefühl. „Der unendliche Tango der deutschen Rechtschreibung“ dokumentiert einen aktuellen Streit der Jahre um 2006. So wird der Kanon nicht Vitrine, sondern Gesprächspartner von Reinhard Mey !Ich kann.

Auch die französischen und niederländischen Titel sind mehr als Farben. Sie zeigen Herkunft und Offenheit. Mey bleibt Weltbürger im kleinen Rahmen. Er nimmt das Publikum mit, ohne zu erklären. Das ist selten. Und es ist sehr wirksam.

Einordnung im Werk: Späte Klarheit statt lauter Geste

Reinhard Mey hat viele Live-Alben veröffentlicht. Doch jedes hat seine Zeit. Und seine Temperatur. Das vorliegende Programm zeigt die späte Klarheit. Es zeigt das Vertrauen in Wort, Stille und Haltung. Es zeigt auch die Freude am Spiel. Vor allem aber zeigt Reinhard Mey !Ich kann die Kunst des Weglassens. Nichts ist zu viel. Nichts ist zu wenig.

Das Album bildet eine Brücke. Es schlägt Bogen zu früheren Schlüsselwerken. Es öffnet Türen für spätere Lesarten. Es eignet sich daher auch als Einstieg. Wer Mey neu entdeckt, findet hier die großen Themen. Wer ihn lange kennt, findet die reife Form derselben.

Der Kontext von 2006: Technik, Debatte, Zeitgeist

Die Copy-Control-Frage wirkt heute wie ein Anachronismus. Damals war sie real. Sie prägte Kaufentscheidungen. Sie steht für eine Zeit zwischen alt und neu. Zwischen CD-Regal und MP3-Player. Auch das hört man indirekt. Ein Live-Album war ein Gegengewicht zur entmaterialisierten Datei. Es war Erinnerung an einen Abend, den man mit anderen teilte. Diese Erfahrung steckt in Reinhard Mey !Ich kann.

Die Debatten jener Jahre waren scharf. Sicherheit, Krieg, Sprache, Identität. Das Album nimmt diese Themen auf. Es macht sie aber singbar. Und es macht sie menschlich. So entsteht ein Zeitdokument, das nicht altert, sondern reift.

FĂĽr wen lohnt sich dieser Abend auf Ton?

Wenn Sie Mey noch nicht kennen, ist dies ein guter Einstieg. Sie erhalten den Rundblick ohne Hast. Sie lernen die politische Schärfe kennen. Und die leise Wärme. Wenn Sie ihn lange begleiten, hören Sie neue Lesarten. Sie hören, wie die Stimme anders führt. Wie die Pausen anders fallen. Genau das macht den Reiz von Reinhard Mey !Ich kann aus.

Sie mögen französische Chanson-Tradition? Sie mögen Texte, die klar und bildhaft sind? Sie suchen Musik, die ohne Studioeffekt trägt? Sie wollen einen Abend, der Sie in Ruhe ansieht? Dann ist dieses Album für Sie gemacht. Es fordert Geduld. Es schenkt Gegenwart.

Höhepunkte und kleine Schwächen

Zu den Höhepunkten zählen „Das Narrenschiff“, „Nein, meine Söhne geb’ ich nicht!“, „Ich glaube nicht“ und „Über den Wolken“. Auch „Der unendliche Tango der deutschen Rechtschreibung“ glänzt mit Witz und Timing. Kleine Längen kann es geben. Die entstehen eher im eigenen Kopf als auf der Bühne. Wer nur schnelle Hooks sucht, wird hier nicht fündig. Doch wer Geschichten liebt, wird belohnt. Auch das ist Teil von Reinhard Mey !Ich kann.

Ein Wermutstropfen ist die Copy-Control-Hülle. Aus heutiger Sicht wirkt sie unnötig. Damals war sie Teil der Zeit. Klanglich ist das jedoch kein Mangel. Die Aufnahme ist klar. Die Dynamik bleibt intakt. Die Balance stimmt.

Fazit: Ein spätes Bekenntnis mit heiler Kante

Dieses Album ist ein stilles Manifest. Es sagt: Ich kann. Nicht: Ich muss. Nicht: Ich darf. Sondern: Ich kann. Das ist der Reiz. Reinhard Mey vertraut der Einfachheit. Er vertraut dem Wort. Er vertraut dem Publikum. Und er vertraut dem Abend als Form. So wird Reinhard Mey !Ich kann zum Satzzeichen einer langen KĂĽnstlerbiografie.

Als Kritik bleibt wenig zu monieren. Die Länge fordert. Doch sie zahlt sich aus. Die Themen tragen. Die Stimme trägt. Der Klang trägt. Am Ende bleibt ein Gefühl von Nähe. Und ein leiser Stolz, der nicht lärmt. Wenn Sie ein Album suchen, das Haltung zeigt, ohne zu poltern, dann greifen Sie zu Reinhard Mey !Ich kann. Es ist ein freundlicher, wacher Begleiter für lange Nächte. Und für klare Tage.

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