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Wolf Biermann – Trotz alledem: Kritik, Kontext und Songs

Wolf Biermann Trotz alledem: Vorstellung und Kritik

Letztes Update: 05. Oktober 2025

In unserer Rezension zu 'Trotz alledem' untersuchen wir Wolf Biermanns Album: lyrische Wucht, musikalische Gestaltung und politische Botschaften. Sie erhalten eine kritische Bewertung der Songs, Hintergründe zur Entstehung und Einordnung ins Gesamtwerk.

Wolf Biermann Trotz alledem: Vorstellung und Kritik des Albums

Dieses Album ist ein spätes Echo einer lauten Zeit. Es ist auch ein leiser Neuanfang. 1998 legt der Dichter und Sänger ein Bündel aus Liedern, Stimmen und Momenten vor. Es wirkt wie ein Brief an die Gegenwart. Und wie ein Gespräch mit der Vergangenheit. Wolf Biermann Trotz alledem zieht eine Linie von Streit und Spott bis zu Trost und Trotz. Und es fragt, wie politisches Lied noch klingen kann, wenn die großen Parolen längst Staub sind.

Sie finden hier 15 Stücke. Sie schwanken zwischen Miniatur und Litanei. Zwischen Spottlied und Psalm. Es sind nicht nur Lieder. Es sind Bilder, Orte und Gesten. Dazu kommt die Stimme, die mehr erzählt, als sie singt. Man fühlt das Gewicht der Jahre, doch der Atem ist frisch. In diesem Spannungsfeld liegt die Kraft des Albums. Es ist beides: Sammlung und Stellungnahme.

Die späte Rückkehr einer Stimme

1998 ist ein spätes Datum. Die Mauer ist weg. Die alte Front ist Erinnerung. Dennoch bleibt der Impuls. Er wirkt wie ein Muskel, der nie ruht. Biermann knüpft an, aber nicht stumpf. Er sortiert, prüft und dreht alte Themen neu. Er weiß, dass die Welt sich weiter dreht. Und er lässt die Lieder dorthin gehen, wo es wehtut. Sie spüren das sofort. Wolf Biermann Trotz alledem setzt auf Nachhall. Es sucht aber auch Nähe. So entsteht eine Haltung ohne Nostalgie.

Kontext und Gewicht von Wolf Biermann Trotz alledem

Der Titel hält eine Tradition. Er ruft den altbekannten Trotz. Es ist die Haltung des Zweiflers, der nicht aufgibt. Das Album denkt diesen Ruf in viele Richtungen. Politisch. Persönlich. Poetisch. Es lädt Streit ein, aber ohne Posen. Es liegt ein mildes Licht auf den Liedern. Kein Pathos, wenig Prunk. Dafür Haltung. Sie hören, wie sich Humor und Ernst aneinander wärmen. Das gibt den Stücken ein Gewicht, das nicht schwer wirkt. Es ist der Ton eines Gereiften, der weiter bohrt.

Klangbild zwischen Kammer und Kiez

Die Gitarre ist der Grund. Sie ist trocken, direkt, klar. Kein fetter Sound, keine Schichten. Viel Luft. Die Stimme steht vorn. Sie kratzt und schimmert. Das passt zu den Texten. Sie sind kantig. Sie lieben das Stolpern, wenn es weiterführt. Kleine Einwürfe und Nebengeräusche lassen Nähe zu. Man meint, im Zimmer zu sitzen. Das Album klingt wie eine Kammer mit offener Tür zur Straße. So wird der Raum lebendig. Sie fühlen sich gemeint. Wolf Biermann Trotz alledem will Verbundenheit, nicht Glanz.

Dramaturgie der 15 Stücke

Die Reihenfolge ist klug. Große Bögen wechseln mit kurzen Stichen. Es gibt Lieder, die singen. Und es gibt Stücke, die mehr sprechen. So entsteht ein Rhythmus wie beim Atmen. Ein langer Zug. Dann ein kurzes Ausatmen. Die Balance hält. Die Collage fügt sich. Es ist wie ein Spaziergang mit Umwegen. Der Weg ist klar. Doch die Umwege zeigen die beste Aussicht. Genau das trägt das Album. Wolf Biermann Trotz alledem ist kein Strauß, der bunt sein will. Es ist ein Bericht, der bunt sein muss.

Auftakt mit „Ballade vom preussischen Ikarus“

Der Anfang setzt den Ton. Die „Ballade vom preussischen Ikarus“ ist Hernach und Jetzt in einem. Der Mythos steht da. Er steht aber in Preußenstiefeln. Die Bilder sind kräftig. Sie wirken wie Tusche mit viel Wasser. Es geht um Höhenflug und Fall. Um Stolz und Sturz. Auch um das Gift der Hybris. Doch das Lied bleibt warm. Es hört den Menschen, nicht nur die Figur. So öffnet es einen weiten Raum. Wolf Biermann Trotz alledem beginnt mit einer Warnung. Aber auch mit Würde. Sie ahnen, dass keine einfache Lehre folgt.

Miniaturen und Kommentare

Nelli, min Appelsnut ist kurz. Ein Gruß in weichem Niederdeutsch. Es ist ein Nicken zur Heimat. Ein Augenblick mit Salzluft. Auch die „Hanseatische Idylle“ ist klein und fein. Ein Bild, das glitzert und sticht. Dann „Kommentar / Mangelsdorff“. Ein kurzes, sprechendes Stück. Es ist weniger Lied als Markierung. Eine Reverenz an den Geist des Jazz. Ein Schnipsel, der die Luft anders färbt. Diese Miniaturen lockern. Sie weiten das Ohr. Sie sind der Sand zwischen den Steinen. So halten sie den Fluss lebendig.

„Deutsches Miserere“ als Zentrum

Fast zehn Minuten Dauer. Ein dunkler Kern. „Deutsches Miserere“ ist Klage und Chronik. Keine Pose, keine Träne zu viel. Die Worte schleppen und stolpern nicht. Sie gehen. Sie halten aus. Der Ton bleibt streng. Die Gitarre sitzt enger am Text. Das Lied zählt Wunden, ohne sie zu zeigen. Es fragt nach Schuld. Es fragt auch nach Sprache. Wie spricht man über Land und Last? Hier zeigt sich die Reife des Autors. Er nimmt Maß. Er hält sich an die Genauigkeit. Das macht das Stück stark und still. In Wolf Biermann Trotz alledem steht es wie eine Säule, die Schatten gibt.

Titelsong und politische Kante

„Trotz alledem!“ ist Feder und Faust zugleich. Der Ruf ist alt, doch er klingt frisch. Rhythmus und Reim treiben. Der Text grinst, wenn er zubeißt. Der Song bringt die Stimmung auf den Punkt. Es ist keine Parole, es ist Haltung. Sie merken, wie der Trotz nicht tätlich wird. Er bleibt wach. Er bleibt offen für Widerspruch. Darin liegt die Kante dieses Albums. Es will kein Triumph. Es will einen Standpunkt. Er ist beweglich und klar. Ein guter Ort, um zu bleiben. Und um weiterzugehen.

Von Stuttgart bis Gorleben: Ortsmarken als Chronik

Die Orte sprechen mit. „Mädchen in Stuttgart“ ist zart und scharf. „Ach Stuttgart, du Nasse, du Schöne“ verrät Wärme und Stichelei. „Gorleben soll leben“ ist ein Plakat als Lied. Es ruft in alte Kämpfe. Doch das Lied schaut auch auf das Heute. Es fragt nach dem langen Atem. „Streikposten vor Euro-Kai“ riecht nach Hafen und Schweiß. Ein Arbeiterlied ohne Heldenpose. „Collage Frankfurter Rundschau“ packt Stimmen zusammen. Es ist Presse, es ist Lärm, es ist Zeit. So wird der Raum politisch, ohne Lehrbuch. Das Album sammelt Spuren und legt eine kleine Karte der Republik.

Stimme, Diktion, Ironie

Biermanns Stimme trägt Spuren. Sie kratzt und schwankt, doch sie hält. Jede Silbe hat Gewicht, aber sie bleibt frei. Er verschluckt nichts. Er zeigt auch nichts vor. Die Ironie ist sein zweiter Atem. Sie wärmt den Ernst und kühlt die Wut. Das hilft den langen Stücken. Und es schärft die kleinen. Sein Sprechgesang fließt wie eine Narbe. Sichtbar, aber heil. Sie hören Erfahrung, nicht bloß Effekt. Genau darum wirkt Wolf Biermann Trotz alledem so nah. Es will Sie nicht überwältigen. Es lädt Sie ein, mitzudenken.

Texte zwischen Spott und Trost

Die Texte schlagen Haken. Sie greifen in die Tasche der Tradition. Sie holen Ballade, Spottlied, Moritat heraus. Sie mischen das mit Straßenrede. Das ergibt eine Sprache, die Sie kennen und neu finden. Bilder kommen knapp und klar. Dann kippen sie leicht und zeigen Tiefe. Manchmal streut Biermann eine kleine Groteske. Dann wieder steht ein nüchternes Wort im Raum. Er lässt beides stehen. So macht er den Raum groß. Der Humor ist nie Zierde. Er ist ein Messer, das Butter schneidet. Wolf Biermann Trotz alledem lebt von dieser Mischung. Sie macht den Geist leicht, ohne ihn zu verkürzen.

Live-Geist im Studio

Auch ohne Saal klingt es live. Atmer, Lachen, kleine Nebengeräusche. Das gibt Vertrauen. Die Stücke sagen damit: Hier wird nichts versteckt. Manchmal liegen Worte vor dem Takt. Dann zieht die Gitarre nach. Manchmal ist es andersherum. Diese Reibung bringt Energie. Sie fühlt sich ehrlich an. Die „Collage Frankfurter Rundschau“ verstärkt das. Sie zeigt, wie Sprache rauscht. Sie lässt Meinung und Meldung aufeinander prallen. Das ist mehr als Deko. Es ist Konzept. Es macht die Platte offen für Stimmen von außen. So klingt Gegenwart.

Produktion 1998: Technik trifft Temperament

Die Aufnahmen sind klar, doch nicht kühl. Die Höhen singen, die Tiefen tragen. Kein künstlicher Hall. Kein polierter Lack. Das passt zum Material. Die Gitarre hat Kante. Die Stimme hat Raum. Man hört den Körper in den Vokalen. Kleine Peaks bleiben drin. Das ist klug. Es hält die Energie. In den längeren Stücken bleibt der Klang stabil. Auch über neun Minuten. So bleibt der Fokus beim Text. Wolf Biermann Trotz alledem nutzt Technik, um Nähe zu bauen. Nicht um Distanz zu schaffen. Das ist heute fast schon ein Luxus.

Relevanz heute: Was bleibt?

Die Fragen sind nicht verjährt. Was ist Haltung ohne Pose? Wo endet Spott, wo beginnt Zynismus? Wie halten wir Widerspruch aus? Die Lieder geben keine Parolen. Sie bieten Werkzeug. Worte, die tragen. Bilder, die Raum lassen. Auch der Blick auf Orte trifft. Stadt, Arbeit, Protest. Das sind keine Relikte. Das sind Koordinaten. Sie helfen, sich neu zu verorten. Gerade im Lärm der Gegenwart. Wolf Biermann Trotz alledem zeigt, wie politisches Lied heute gehen kann. Es ist wach, doch nicht nervös. Es ist klar, doch nicht hart.

Für wen eignet sich dieses Album?

Für Sie, wenn Sie Text lieben. Wenn Sie eine Stimme ertragen, die kratzt, weil sie ehrlich ist. Für Sie, wenn Sie politische Musik ohne Plakat suchen. Wenn Sie an Liedern interessiert sind, die mehr fragen als behaupten. Auch wenn Sie Biermann kennen, lohnt es sich. Manche Lieder sind alte Bekannte. Doch sie treten hier anders auf. Frischer, naher, manchmal zarter. Und wenn Sie ihn noch nicht kennen: Dieses Album ist ein guter Einstieg. Es zeigt viele Facetten. Es ist nicht zu lang. Es ist konzentriert. Wolf Biermann Trotz alledem führt Sie behutsam an den Kern heran.

Stolpersteine und Stärken

Es gibt Momente, in denen der Spott vorn steht. Das kann für manche zu rau wirken. Auch die langen Stücke fordern Geduld. Sie bleiben streng. Dafür bieten sie Tiefe. Die kurzen Miniaturen sind wie Salz. Zu viel wäre scharf. Hier ist die Dosis gut. Die stärksten Momente liegen im leisen Ernst. Dort, wo das Lied nicht predigt. Wo es denkt und atmet. Der Wechsel aus Strenge und Spiel hält das Ganze lebendig. So bleibt der Spannungsbogen intakt. Es ist eine Platte, die wächst. Nicht beim ersten, sondern beim dritten Hören entfaltet sich die ganze Karte.

Zwischen Tradition und Gegenwart

Die Tradition des politischen Lieds ist groß. Hier wird sie nicht bloß zitiert. Sie wird benutzt. Zeitgemäß, unaufgeregt, klug. Der Titelsong hält die Brücke zu alten Kämpfen. Die Ortslieder holen es ins Heute. So entsteht ein Wechselspiel aus Erinnerung und Jetzt. Das macht die Platte zeitlos. Sie passt in die späten Neunziger. Sie passt auch in das Heute. Denn die Fragen bleiben. Haltung, Sprache, Humor. Das sind Dinge, die nie alt werden. In dieser Mischung zeigt das Album seine helle Seite. Es ist streng, doch es lädt ein.

Ein Blick auf einzelne Spuren

„Gegen die Objektiven“ stichelt gegen kalte Vernunft. Es ist ein Lied für den Rest Zweifel im System. „Mag sein, dass ich irre“ gönnt sich einen Moment Selbstkritik. Ein seltenes Gut im politischen Lied. „Jetzt klagen sie gross über Terror“ fasst Debatten in kurze Bilder. Es wirkt erschreckend aktuell. „Ein Lied des Bundes“ schließt wie ein Nachsatz. Kürze, Witz, ein Zwinkern. Diese Spannweite in 15 Tracks ist beachtlich. Sie zeigt Kurzübung und Ausdauer. Sie zeigt auch, wie gut die Reihenfolge arbeitet. Ein Bogen, der ohne Bruch endet.

Fazit: Trotz alledem klingt noch

Dieses Album hat Herz und Hirn. Es hält beides in Balance. Es ist kein Museum. Es ist ein offenes Fenster. Es lässt Luft rein. Es lässt auch Staub rein. Denn Wahrheit ist selten sauber. Sie ist lebendig und widersprüchlich. Darauf vertraut diese Platte. Wolf Biermann Trotz alledem ist ein spätes Werk mit jungem Blick. Es rennt nicht. Es geht. Und es kommt an. Wenn Sie ein Album suchen, das Sie herausfordert und trägt, sind Sie hier richtig. Wenn Sie ein Album suchen, das laut ist, ohne zu schreien, dann ebenso. Sie werden am Ende nicht aufstehen und jubeln. Sie werden nicken. Und vielleicht zweimal auf Play drücken.

Im Rückblick zeigt sich die kluge Schichtung. Große Stücke halten die Mitte. Kleine Miniaturen weiten das Ohr. Orte geben Erdung. Humor schneidet die Schwere. Die Produktion macht Platz für die Stimme. Die Gitarre markiert den Puls. Dazu ein Bewusstsein für Geschichte. Doch ohne die oft so laute Nostalgie. Darin liegt der nachhaltige Reiz. So wird das Album zur Schule der Gelassenheit im Streit. Wolf Biermann Trotz alledem beweist, dass Trotz nicht hart sein muss. Er kann weich und wach sein. Genau dann wirkt er.

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