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Wolf Biermann: Lieder vom preussischen Ikarus – Albumkritik

Wolf Biermann Lieder vom preussischen Ikarus – Rezension und Einordnung

Letztes Update: 06. Dezember 2025

Der Artikel stellt Wolf Biermanns Album 'Lieder vom preussischen Ikarus' vor, bewertet Komposition, Texte und Produktion und ordnet das Werk in sein Schaffen ein. Sie erhalten Song-Analysen, historische Einblicke und eine klare EinschÀtzung zur Relevanz des Albums.

Wolf Biermann Lieder vom preussischen Ikarus im PortrÀt und in der Kritik

Dieses Album ist ein Flugversuch mit sicheren FlĂŒgeln. Es blickt zurĂŒck. Es greift vor. Und es ruft Sie dennoch ins Hier und Jetzt. Wolf Biermann Lieder vom preussischen Ikarus erschien 1999. Das Werk klingt wie ein spĂ€tes, hellwaches Lebenszeichen. Es bĂŒndelt Lieder aus vielen Jahren zu einem dramatischen Bogen. Der Ikarus fliegt, stĂŒrzt, steht wieder auf. So liest es sich, so hört es sich an. Und so trĂ€gt es in unsere Zeit.

Das Bild des preußischen Ikarus

Der Ikarus ist ein großer Mythos. Bei Biermann bekommt er einen harten, preußischen Ton. Das passt. Der Dichter und SĂ€nger hat immer an Grenzen gerĂŒhrt. Er hat Regeln getestet. Und er hat den Preis gezahlt. In der Ballade vom preußischen Ikarus bĂŒndelt sich dieser Weg. Wolf Biermann Lieder vom preussischen Ikarus setzt dieses Bild an den Anfang der zweiten CD. Es ist ein programmatischer Auftakt. Er kĂŒndigt Mut, Fallhöhe, Ironie und Trotz an. Und er stellt die Frage: Wie viel Freiheit tragen wir?

Die Antwort ist nie einfach. Biermann singt sie nicht glatt. Er reibt. Er erinnert. Er mahnt. Er lacht sogar. Das macht die Metapher stark. Sie steht nicht fĂŒr Eitelkeit. Sie steht fĂŒr Risiko und Haltung. Das ist die Linie, die durch das ganze Werk fĂŒhrt.

Ein Album wie ein Doppelspiegel

Die Form ist klug gewĂ€hlt. Es ist eine Doppel-CD mit 36 Titeln. Sie hören zwei Blicke auf ein und dasselbe Leben. Der erste Teil wendet sich der deutschen Topografie zu. Berlin steht am Anfang. Geschichte steht daneben. Der zweite Teil atmet Paris. Exil. Freundschaft. Nacht. WĂ€rme. So baut Wolf Biermann Lieder vom preussischen Ikarus eine BrĂŒcke. Sie sehen auf beiden Seiten ein Gesicht. Und dazwischen die Luftschicht, in der die Lieder fliegen.

Diese Spiegelform erzeugt Spannung. Sie hören zuerst die großen Marker. Berlin, Stasi, Krieg, Frieden. Dann folgen intime RĂ€ume. Kaminfeuer, Friedhof, Begegnung. So entsteht eine Reise. Sie fĂŒhrt vom Monument in die KĂŒche. Von der Fahne zum freundlichen Du. Das ist kein Zufall. Es ist Dramaturgie.

Berlin, die zarte und harte Geliebte

Der Auftakt ist kantig. "Berlin du deutsche, deutsche Frau" spricht die Stadt direkt an. Person und Polis fallen zusammen. Das hat Witz. Und es hat Schmerz. Danach kommen Kampflieder und Klagelieder. "Warte nicht auf bessre Zeit" drĂ€ngt voran. "Soldat, Soldat" hĂ€lt dagegen. "Die Stasiballade" schaut in alte Wunden. "FrĂŒhling auf dem Mont-Klamott" hebt die Stirn. Es ist der ewige Berliner Mix. HĂ€rte und Hoffnung. Wolf Biermann Lieder vom preussischen Ikarus fĂ€ngt das in klaren Gesten ein.

Hier zeigt sich ein Erfahrungsraum. Er ist nicht nostalgisch. Er ist nĂŒchtern und dicht. Das macht die StĂŒcke lebendig. Sie atmen Asphalt. Sie atmen Geschichte. Und sie tragen die Schwere leicht.

Paris als zweite Heimat

Dann öffnet sich die zweite CD. Paris tritt ein. "Kaminfeuer in Paris" wÀrmt. "Rencontre a Paris" lÀchelt. "Auf dem Friedhof am Montmatre" senkt den Blick. Exil ist nicht nur Flucht. Es ist auch Alltag. Es ist Liebe. Es ist Sprache. In Wolf Biermann Lieder vom preussischen Ikarus wird Paris zur weichen Seite des Stacheldrahts. Hier singen die Lieder leiser. Doch sie stechen genau so.

Dieser Wechsel ist klug. Er entkrampft den großen Ton. Er lĂ€sst Raum fĂŒr NĂ€he. Das macht die ganze Strecke menschlich. Und es gibt den politischen StĂŒcken ein Echo. Die Stadt der Lichter spendet Schatten. Und aus dem Schatten wĂ€chst Trost.

Warum Wolf Biermann Lieder vom preussischen Ikarus heute noch wirkt

Die Themen sind zeitlos. Freiheit. Wandel. Verantwortung. Diese Worte klingen nicht ab. Sie nehmen sogar zu. Wolf Biermann Lieder vom preussischen Ikarus spricht so, dass Sie es heute hören wollen. Der Ton ist klar. Die Sprache ist direkt. Sie finden keine Phrase, die nicht gearbeitet wurde. Und Sie finden Humor, wo man ihn kaum erwartet.

Das ist wichtig. Moral ohne Musik bleibt Moral. Hier aber wird Moral Gesang. Der Gesang macht sie beweglich. Er bringt sie in Ihr Ohr. Und weiter in Ihre Hand. So entfaltet das Album seine Gegenwart.

Stimme, Gitarre, Biss: Die Klangsprache

Biermanns Klang ist schlicht und belastbar. Stimme, Gitarre, Rhythmus. Viel mehr braucht es nicht. Das ist eine Entscheidung. Und es ist eine Haltung. Der Kern bleibt verstÀndlich. Wolf Biermann Lieder vom preussischen Ikarus setzt auf diese Reduktion. Sie hören Holz. Sie hören Atem. Sie hören ZÀhne. Das reicht, um Bilder zu zeichnen. Und es lÀsst den Texten Raum.

Die Produktion wirkt ehrlich. Sie hat wenig Lack. Das passt zur Materie. Es passt zu Berlin. Es passt zu Paris. Und es passt zum Ikarus, der keine Schminke trÀgt.

Zwischen Ballade und Pamphlet

Biermann bewegt sich frei zwischen Formen. Er kann die Ballade. Er kann das Spottlied. Er kann die Polit-Hymne. Er spielt das nicht aus. Er mischt. "Die PopulÀrballade" thematisiert die Form selbst. "Die Stasiballade" bohrt ins Archiv. "Der Deserteur" setzt ein Antikriegssignal. Wolf Biermann Lieder vom preussischen Ikarus zeigt diese Spannweite. Es zeigt sie ohne Bruch. Denn die Haltung bleibt die gleiche. Sie ist: Nie blind. Nie bequem.

Das Ergebnis ist Vielfalt mit Kern. So bleibt der Fluss intakt. Und Sie bleiben wach.

Texte, die tragen

Die Sprache ist das eigentliche Instrument. Sie ist prÀzise. Sie ist salzig. Sie ist zÀrtlich, wenn nötig. "Ermutigung" ist der zÀrtliche Pol. "Was verboten ist, das macht uns grade scharf" hat Biss. "Das Hölderlinlied" schlÀgt einen klassischen Bogen. "Hugenottenfriedhof" legt historische Spuren frei. Wolf Biermann Lieder vom preussischen Ikarus bindet diese Tonlagen zusammen. Es wird nie beliebig. Es bleibt konkret. Es blickt Menschen ins Gesicht. Ihnen. Mir. Uns.

Man merkt: Hier schreibt ein Dichter. Er lÀsst die Dinge stehen. Er deutet nicht zu viel. Er vertraut der Szene. Das öffnet Ihre Fantasie.

Die langen StĂŒcke als Knotenpunkte

Die LĂ€nge ist Teil der Aussage. "Villon in Deutschland: Wintermaerchen" nimmt sich Zeit. "Die PopulĂ€rballade" tut es auch. "Ich leb mein Leben, sagt Eva Marie" erzĂ€hlt breit. "Melancholie" fĂ€llt langsam. Das sind die Knotenpunkte der Reise. Hier arbeiten die Bilder aus. Hier schwingen die Ideen nach. Wolf Biermann Lieder vom preussischen Ikarus braucht diese Inseln. Denn die kurzen StĂŒcke schlagen Funken. Die langen halten die Glut.

So entsteht Rhythmus. Schnell. Langsam. Hart. Weich. Diese Wellen tragen Sie durch das Werk.

Historisches Gewissen im Jahr 1999

Das Datum ist nicht nur ein Stempel. 1999 war ein Schwellenjahr. Ein Jahrzehnt Einheit lag hinter dem Land. ErnĂŒchterung auch. Neue Kriege gingen an. Der Kosovo prĂ€gte die Nachrichten. Alte Muster kehrten zurĂŒck. Wolf Biermann Lieder vom preussischen Ikarus greift das nicht als Tagesmeldung auf. Es formt ein historisches Gewissen. "Bilanzballade im 30sten Jahr" blickt zurĂŒck. "Wann ist denn endlich Frieden" stellt die alte Frage neu. Und "Der schwarze Pleitegeier" singt vom Alltagsschmerz. Das fĂŒgt sich zu einem ehrlichen Zeitbild.

Es wird keine große These gepredigt. Es wird erlebt. Beschrieben. Befragt. So bleibt die Platte beweglich. Sie lĂ€dt Sie ein, weiterzudenken.

Politik und Privatheit im Wechselspiel

Die stĂ€rksten Momente liegen oft im Übergang. "Arbeitslos" ist politisch und privat zugleich. "Mir selber helfen" ist ein Motto. Es gilt im Zimmer und im Staat. "Willkommenslied fĂŒr Marie" öffnet eine TĂŒr ins Haus. Dadurch wird die Figur Biermann greifbar. Wolf Biermann Lieder vom preussischen Ikarus gönnt sich diese Menschlichkeit. Sie bricht die SchĂ€rfe. Sie macht die HĂ€rte tragbar. Und sie gibt der Haltung ein Gesicht.

Hier zeigt sich die Kunst des Maßes. Wut ohne Liebe wird stumm. Liebe ohne Wut wird blind. Diese Platte hĂ€lt beides im Gleichgewicht.

Dramaturgie der 36 Lieder

Die Reihenfolge ist durchdacht. Berlin beginnt, Paris endet. Dazwischen kreisen Motive. Krieg, Flucht, Sprache, Arbeit, Humor. Der Schluss ist fast ein Epilog. "Nur wer sich Àndert bleibt sich treu" spricht die Moral des ganzen Zuges aus. Das ist kein Slogan. Es ist eine gelebte Erfahrung. Wolf Biermann Lieder vom preussischen Ikarus lÀsst Sie mit diesem Satz hinausgehen. Sie tragen ihn dann in Ihren Tag. Und vielleicht in Ihr Tun.

Diese Dramaturgie macht das Doppelalbum stark. Sie verhindert das bloße Nebeneinander. Sie schafft einen Bogen. So bleibt das Hören ein Weg, kein Lager.

Wiederhören und Wiederentdecken

Viele Titel sind vertraut. Sie sind Teil der Republik geworden. Doch hier, in dieser Sammlung, wirken sie anders. Sie sprechen mit neuen Nachbarn. "Ermutigung" klingt neben "Melancholie" weicher. "Die Stasiballade" schĂ€rft "Hugenottenfriedhof". Sie hören Verbindungen. Sie entdecken Fugen. Wolf Biermann Lieder vom preussischen Ikarus lĂ€dt Sie zu diesem Wiederhören ein. Es lohnt sich, langsam zu hören. Und es lohnt sich, laut zu hören. Beides fĂŒhrt zu anderen RĂ€umen.

So bleibt das Album lebendig. Es altert nicht. Es reift.

Kleine Sternstunden im Detail

Einige Momente haften sofort. "Das Barlach Lied" spannt Skulptur in Klang. Der Blick des Bildhauers sitzt in den Worten. "Villon in Deutschland" macht die Grenze zwischen LĂ€ndern porös. Hier atmet Weltliteratur in einem deutschen Satz. "Die hab ich satt" zieht die Reißleine, wenn Pathos droht. "Pardon" zeigt GrĂ¶ĂŸe, weil es leise wird. Diese StĂŒcke sind kleine Sternstunden. Sie machen das große Ganze warm.

Auch "Ein neues Lied ein bessres Lied" fÀllt auf. Der Titel klingt wie ein Versprechen. Das Lied löst es ein, indem es sich an alte Formen lehnt. Und sie doch neu setzt. So arbeitet Tradition hier: nicht als Denkmal, sondern als Werkzeug.

Sprachrhythmus und Atem

Die deutsche Sprache hat Gewicht. Biermann trÀgt sie, ohne schwer zu werden. Er setzt kurze SÀtze. Er setzt Pausen. Er setzt harte Reime, wenn es sein muss. Dann wieder kleine Binnenreime, die lÀcheln. Dieser Rhythmus trÀgt auch lange Texte. Sie folgen ihm gern. Er hÀlt Sie nah am Wort. Er hÀlt Sie nah am Bild. So entfalten die Lieder ihre Kraft.

Die Gitarre stĂŒtzt das. Sie marschiert nie davon. Sie bleibt Dienerin des Textes. Das ist altmodisch und modern zugleich.

Ein Platz im Kanon

Wo steht dieses Werk im Gesamtbild? Es steht weit vorn. Nicht, weil hier die grĂ¶ĂŸten Hits versammelt sind. Sondern weil der Kontext passt. 1999 bĂŒndelt eine Lebens- und Landesgeschichte. Daraus wird ein Album, das zeigt, worum es ging. Und worum es noch gehen wird. Wolf Biermann Lieder vom preussischen Ikarus ist also mehr als eine Sammlung. Es ist ein Statement. Es ist eine Poetik des Nachher.

Damit fĂŒgt es sich in die lange Reihe politischer Chansons. Und es verteidigt ihren Platz im Heute.

Kritikpunkte mit Augenmaß

Gibt es SchwĂ€chen? Ja, und sie sind ehrlich. Die Reduktion der Mittel kann Monotonie erzeugen. Bei 36 StĂŒcken droht ErmĂŒdung. Einige Texte predigen stark. Manche Refrains sind grob. Doch die Platte hat eine Antwort. Sie setzt auf Wechsel von Ton und Tempo. Sie setzt auf Spannung zwischen Berlin und Paris. Und sie setzt auf das Ohr der Hörenden. Wer mitgeht, wird belohnt. Wer stolpert, findet bald wieder Tritt.

Man kann sagen: Diese Musik verlangt eine Entscheidung. Sie fordert Position. Das ist kein Fehler. Es ist die Form, die zu dieser Kunst passt.

FĂŒr wen ist dieses Album?

Wenn Sie politische Lieder lieben, ist die Sache klar. Wenn Sie unsichere Zeiten besser verstehen wollen, ebenso. Wenn Sie sich von Sprache tragen lassen, auch. Wolf Biermann Lieder vom preussischen Ikarus bietet Ihnen all das. Es bietet Ihnen zudem Humor. Und es bietet Ihnen Trost. Das ist keine kleine Gabe.

FĂŒr Neueinsteiger ist das Album ein guter Einstieg. FĂŒr Kenner ist es ein zweiter Blick. In beiden FĂ€llen lohnt es sich, die Reihenfolge ernst zu nehmen. Hören Sie von vorn. Bleiben Sie dran.

Fazit

Dieses Album bleibt ein Ereignis. Es ist leise und laut zugleich. Es ist alt und neu zugleich. Es steht fest. Und es fliegt weiter. Wolf Biermann Lieder vom preussischen Ikarus zieht eine Linie durch Leben und Land. Es zeichnet ein Bild, das auch Sie betrifft. Denn es fragt nach Mut. Es fragt nach Wandlung. Es fragt nach Treue. Am Ende steht der Satz, der bleibt: "Nur wer sich Àndert bleibt sich treu". Das ist kein Schluss. Das ist eine Aufgabe.

So verlÀsst man die Platte. Man tritt hinaus. Man schaut anders auf den Tag. Und man hört in sich noch lange das helle Kratzen einer Gitarre.

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