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Wolf Biermann Trotz alledem! – Vorstellung & kritische Bewertung

Wolf Biermann Trotz alledem! — Vorstellung und Kritik

Letztes Update: 05. Oktober 2025

Der Artikel stellt Wolf Biermanns Album Trotz alledem! vor und liefert eine kritische Einordnung: Sie lesen zu Songtexten, Stimmführung, politischer Haltung, Produktion und heutiger Relevanz. Abschließend gibt es eine klare Empfehlung für Hörer.

Vorstellung und Kritik des Albums Wolf Biermann Trotz alledem!

Dieses Album ist ein Dokument der Zäsur. Es stammt aus dem Jahr 1978. Die Zeit nach der Ausbürgerung liegt noch nahe. Der Sänger zeigt, was bleibt, wenn ein Staat die Stimme verstummen lassen will. Wolf Biermann Trotz alledem! verwandelt Brüche in Klang. Es sagt: Der Bruch ist da. Doch die Lieder gehen weiter.

Sie hören hier keine polierte Pop-Platte. Sie erleben eine Sammlung. Sie ist roh, direkt und kantig. Und sie ist mit Absicht so. Das passt zur Lage des Künstlers. Es passt auch zur Lage der Republik. Kurz: Das Album kommt wie ein Tagebuch mit Gitarre.

Ein Album aus der Zäsur 1978

Das Jahr 1978 ist noch voll von Nachhall. Der Kölner Konzertschock von 1976 wirkt fort. Die Debatten sind laut, die Fronten hart. In dieser Gemengelage erscheint Wolf Biermann Trotz alledem!. Das Album reagiert nicht in Thesen. Es reagiert in Szenen, in Dialogen, in Bildern aus dem Alltag.

Sie hören Streikposten und Zeitungsstimmen. Sie hören Städte, die atmen. Sie hören auch kleine Liebesstücke. Die Platte ist politisch, ja. Doch sie bleibt sehr menschlich. Das gibt ihr Kraft. Das gibt ihr Wärme.

Klangbild zwischen Straße und Saal

Der Klang ist bewusst schlank. Gitarre, Stimme, Mundharmonika dominieren. Dazu kommen gesprochene Passagen. Manchmal mischen sich Collagen hinein. So klingt die Welt in Echtzeit. Es ist eine trockene Aufnahme. Aber sie lässt Raum. Jeder Anschlag auf den Saiten sitzt vorn. Wolf Biermann Trotz alledem! entscheidet sich für Präsenz statt Pracht.

Sie merken, wie nah Sie an den Songs sitzen. Die Nähe ist gewollt. So wirken Worte wie Stiche. So wirkt Gelächter wie Hohn. So wirken Pausen wie Anklage.

Die Spur von Wolf Biermann Trotz alledem! in der Tradition des Protestlieds

Der Titel bindet das Album an eine lange Kette. Er reicht zurück zu alten Versen und Kämpfen. Er erinnert an jene Haltung: Trotz allem, wir halten stand. Wolf Biermann Trotz alledem! nimmt diese Parole auf. Es macht sie neu. Es kippt sie in die Gegenwart der späten Siebziger.

Das ist kein blinder Traditionsdienst. Es ist Prüfung und Fortführung. Das Liedgut der Bewegung veraltet nicht. Es muss aber atmen. Biermann lässt es atmen. Er singt die Gegenwart, kein Museum.

Vom Burns-Motiv zum deutschen Kaltsinn

Die Spur führt zu alten Vorbildern. Sie führt über Übersetzungen in deutsche Bilder. Dort bekommt das Motiv Ecken. Es bekommt den Ton der Bundesrepublik. Hier steht der kleine Mann am Kai. Dort marschiert die große Politik am Ohr vorbei. Die Spannung macht die Lieder scharf. Sie wird im Spiel mit Tradition hörbar.

Die langen Bögen: Deutsches Miserere

Der längste Brocken sitzt in der Mitte. „Deutsches Miserere“ dauert über neun Minuten. Es ist Klage, Bericht und Sprechgesang. Es pulst, es schweift, es hämmert. Die Gitarre treibt, dann hält sie an. Worte fallen in den Raum wie Stufen. Wolf Biermann Trotz alledem! trägt hier sein schwerstes Gepäck. Und es trägt gut.

Sie müssen Zeit mitbringen. Die Strecke lohnt. Der Song ist wie ein Tunnel. Am Ende sehen Sie mehr als am Start. Sie sehen Strukturen. Sie hören Namen. Sie spüren das Gewicht der Sprache. Das Stück bebaut seine Länge mit Sinn.

Stimmen der Stadt: Stuttgart als Bühne

Mehrere Titel kreisen um Stuttgart. Das wirkt zuerst wie ein Zufall. Ist es aber nicht. „Mädchen in Stuttgart“ ist kurz und zart. „Ach Stuttgart, du Nasse, du Schöne“ ist ein nasser Blick auf Asphalt und Neon. Dazwischen steht die „Collage Frankfurter Rundschau“. Sie bringt Medienrauschen in die Rillen. Das ergibt ein Mosaik aus Stadt und Streit.

Sie erleben eine reale Topografie. Sie erleben Wege, Plätze und Pressestimmen. Das Politische steht nicht neben dem Privaten. Es läuft mitten hindurch. Wolf Biermann Trotz alledem! macht die Stadt zur Bühne. Es zeigt, wie eine Metropole sich in Lieder mischt.

Norddeutsche Miniaturen

Auch der Norden spricht. „Nelli, min Appelsnut“ ist nur eine Minute lang. Es duftet nach Heimat und Dialekt. „Hanseatische Idylle“ tut es ebenso. Es sind kleine Fenster. Sie öffnen auf Milde und Spott. Sie bringen Luft in die Platte. Dann kippt die Idylle um in Arbeit und Kampf.

„Streikposten vor Euro-Kai“ legt den Finger auf die Stadt an der Elbe. Das Lied ist konkret. Es hat Namen, Orte, Zeiten. Das gibt Gewicht. Das gibt Halt. Wolf Biermann Trotz alledem! zeigt, wie große Linien im Kleinen greifen.

Anti-Atom und Aktivismus

„Gorleben soll leben“ fängt die Anti-Atom-Stimmung ein. Der Slogan war auf vielen Fahnen. Der Song überträgt ihn in klare Verse. Er bleibt dabei schnörkellos. Die Melodie macht Platz für Worte. Das ist klug. So bleibt die Botschaft im Ohr. Sie ist nicht nur Parole. Sie ist Lied, das sich anfühlt wie eine Hand auf der Schulter.

Mit dem Titel greift Wolf Biermann Trotz alledem! in einen Streit, der heiß war. Und er tut es ohne platte Agitprop-Töne. Der Song zeigt Menschen. Er zeigt Wege, Zäune und Müdigkeit. Er zeigt aber auch Mut.

Ironie und Spott: Gegen die Objektiven

„Gegen die Objektiven“ ist ein genauer Stich. Der Song zielt auf kühle Blicke. Er spricht die Maske der Neutralität an. Das wirkt modern. Die Debatte um angeblich „objektive“ Sicht ist heute wieder laut. Hier spielt die Ironie. Hier knackt das Lachen das starre Denken.

Auch „Jetzt klagen sie gross über Terror“ setzt spitze Spitzen. Der Gestus ist sarkastisch. Er trägt aber nie nur Hohn. Er trägt Erfahrung. Sie hören Leistung und Verlust. Wolf Biermann Trotz alledem! zeigt, wie Spott und Ernst Partner sein können.

Form und Format: Dramaturgie auf 12 Zoll

Die Platte hat 15 Stücke. Sie schwanken von einer Minute bis über neun. Diese Spannweite prägt den Fluss. Kurze Stücke sind wie Atemzüge. Lange Stücke sind wie Monologe. Das macht die Dramaturgie lebendig. Es ist kein klassisches Studioalbum. Es ist eine Folge von Stimmen, Orten, Zeiten.

Sie spüren eine heimliche Ordnung. Leichte Nummern lockern schwere Blöcke. Nach dem langen „Deutsches Miserere“ kommt Entlastung. Vor dem finalen Schluss findet noch einmal Aktivismus statt. Wolf Biermann Trotz alledem! nutzt die Vinyl-Logik klug. Es denkt in Seiten, nicht in Playlists.

Produktion und kleine Anstöße

„Kommentar MangeLSDorff“ ist ein kleiner Spaß mit großem Echo. Der Titel spielt mit einem Namen. Er spielt auch mit einer Droge im Wort. So blitzt Jazz-Geist auf, ohne Jazz zu spielen. Die Nummer ist kurz, aber sie färbt. Sie zeigt, wie offen die Platte nach rechts und links schaut.

Die Produktion vermeidet Pathos. Sie lebt von Direktaufnahme. Raumklang bleibt knapp. Das passt. Sie wollen die Worte mitten im Gesicht haben. Sie bekommen sie. Wolf Biermann Trotz alledem! ist kein Sofa-Sound. Es ist Bühnenlicht, das ins Publikum blendet.

Im Werkzusammenhang

Wer frühere Alben kennt, hört Unterschiede. Die alte DDR-Schärfe ist da. Aber sie hat sich verschoben. Aus der Enge der Wohnung ist der offene Raum geworden. Aus dem Leben unter Beobachtung wird das Leben im Rampenlicht. Das ändert den Druck. Es ändert die Art, wie eine Stimme fliegt.

Verglichen mit den späten Sechzigern wirkt die Gitarre breiter. Die Worte sind reifer, doch ebenso direkt. Das Pathos ist kontrollierter. Die Wut ist präziser. Wolf Biermann Trotz alledem! markiert diesen Übergang. Es ist eine Brücke. Sie führt vom Osten in den Westen. Sie führt von der Zensur zur Öffentlichkeit.

Rezeption damals und Blick von heute

Die Reaktionen waren gemischt und laut. Ein Teil feierte den Mut. Ein anderer mokierte die Pose. Beides traf den Kern. Denn das Album ist beides. Es ist Kampfstück und Selbstvergewisserung. Es ist Bühne und Beichte. Dass es Streit gab, zeigt seine Lebendigkeit.

Heute klingt vieles sehr frisch. Die Themen sind nicht verschwunden. Arbeit, Medien, Polizei und Protest füllen weiter die Plätze. Die Songs tragen diese Last. Sie tragen sie ohne Staub. Wolf Biermann Trotz alledem! zeigt, wie ein Zeitstück Gegenwart bleiben kann. Es tut das durch Haltung, nicht durch Effekt.

Stücke im Detail: kleine Funken, große Flammen

Die „Ballade vom preussischen Ikarus“ eröffnet mit Schwung. Der Titel führt hoch hinaus. Er stürzt dann ins Politische ab. Der Bogen ist klug gesetzt. Start und Sturz stehen nah beieinander. So beginnt die Platte mit einer Warnung. Und mit Verheißung.

„Mag sein, dass ich irre“ arbeitet mit Selbstzweifel. Es bringt Brüche ans Licht. Es ist leise, aber bestimmt. „Ein Lied des Bundes“ beschließt das Album kurz und knapp. Es klingt wie ein Stempel unter einem Brief. Zwischen beiden Enden blitzt vieles auf. Wolf Biermann Trotz alledem! hält diese Vielfalt zusammen.

Die Stimme als Instrument

Die Stimme trägt das Ganze. Sie ist rau und klar zugleich. Sie kann flüstern und beißen. Sie spielt mit Tempo und Druck. Das ist kein Schönklang. Es ist ein Werkzeug. Es schneidet in die Sätze. Es poliert sie nicht. So entstehen Linien, die haften. So entstehen Bilder, die bleiben.

Sie spüren Atem, Sie hören Speichel, Sie merken Kanten. Das ist intim. Manche stört es. Andere suchen genau das. Es ist ein Zeugnis von Nähe. Wolf Biermann Trotz alledem! verlässt sich auf diese Nähe. Das ist sein Risiko. Das ist seine Stärke.

Text, Ton, Haltung: die Dreifaltigkeit des Protests

Ein Protestlied muss drei Dinge können. Es muss sagen, was ist. Es muss klingen, als ginge es Sie an. Und es muss eine Haltung zeigen, die länger hält als der Anlass. Dieses Album erfüllt das. Die Texte sind konkret, doch offen. Die Musik ist sparsam, doch griffig. Die Haltung ist klar, doch nie starr.

Damit hält die Platte auch fern vom Tagesrauschen Stand. Sie zieht Kraft aus Widerspruch. Sie vertraut auf das Publikum. Wolf Biermann Trotz alledem! ist keine Predigt. Es ist ein Angebot. Es lädt Sie ein, Stellung zu nehmen.

Was heute beim Hören hilft

Sie können das Album linear hören. Oder Sie picken Motive. Hören Sie einmal nur die Ortsnamen. Dann nur die Medienmomente. Dann nur die kurzen Songs. Danach die langen. So zeigt sich die Architektur im Kleinen. So wächst der Blick für das Ganze.

Noch ein Tipp hilft: Hören Sie laut. Die Gitarre braucht Luft. Die Stimme braucht Raum. So wirken Pausen als Teil der Musik. So knacken die plötzlichen Schnitte. Wolf Biermann Trotz alledem! entfaltet sich besser im Raum als im Ohrstöpsel.

Bewertung: Stärken, Schwankungen, Konsequenz

Es gibt sehr starke Momente. „Deutsches Miserere“ ist einer. „Gorleben soll leben“ hat Kraft. Der Stuttgart-Block trägt. Manche Miniaturen sind kaum mehr als Skizzen. Sie sind aber nicht leer. Sie schieben das Ganze weiter. Sie halten die Spannung.

Weniger gelungen sind einzelne Übergänge. Mancher Schnitt kommt hart. Mancher Spott droht kurz zu bequem zu werden. Doch die Platte fängt sich. Sie findet schnell in den Takt zurück. Wolf Biermann Trotz alledem! bleibt auf Kurs. Die Konsequenz zählt.

Fazit: Ein Album als Kompass

Was bleibt nach vielen Durchläufen? Ein Kompass. Er zeigt nach vorne, obwohl er aus der Vergangenheit stammt. Er hilft, die Gegenwart zu lesen. Die Mischung aus Erzählung, Spott und Bekennen trägt. Sie trägt nicht durch Pomp. Sie trägt durch Präzision.

Wenn Sie wissen wollen, wie ein Liedermacher Exil und Alltag mischt, dann hören Sie hier. Wenn Sie hören wollen, wie Orte zu Themen werden, dann hören Sie hier. Wenn Sie spüren wollen, wie Tradition lebt, dann hören Sie hier. Wolf Biermann Trotz alledem! ist dafür ein treffender Begleiter.

Sie merken dabei, wie Musik mehr sein kann als Unterhaltung. Sie ist Werkzeug. Sie ist Archiv. Und sie ist Seismograf. Dieses Album zeigt all das. Es sagt: Trotz alledem geht es weiter. Und es zeigt, wie.

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